Katja Adler

Emanzipation braucht mehr als Worte. Emanzipation braucht Mut.

Rabenmutter, das war die Aufschrift eines T-Shirts, das ich mir vor etwas mehr als zehn Jahren bei einer politischen Aktion überstreifte. Als Statement für alle Frauen und Mütter, die nicht mindestens bis zum dritten Lebensjahr ihrer Kinder daheim blieben, sich ganz auf deren Betreuung und Erziehung konzentrierten und ihren Beruf oder gar ihre eigene Karriere hinten anstellten. Diese Mütter, die teilweise sogar noch im Krabbelalter Ihrer Kinder wieder arbeiten gingen, wurden nicht selten kritisch oder wahlweise auch mittleidig betrachtet, ob dieser Notwendigkeit des „wieder arbeiten Müssens“.

Ich zog mir dieses T-Shirt an, in einer Zeit, als ich für die Gründung einer Kinderkrippe mit vornehmlich älteren Frauen eines sog. Qualitätszirkels diskutierte, ob Kinder unter drei Jahren „fremdbetreuungsfähig“ seien. Ihr Standpunkt, dass kleine Kinder allein zur Mutter gehören und nur von ihr betreut werden sollten, war kaum aufzuweichen. Es war mein Statement - auch an diese Frauen - für Selbstbestimmung, Verantwortung, Gleichstellung und Emanzipation, für den dringend notwendigen gesellschaftlichen Wandel.

Dabei symbolisiert nur wenig mehr stärker die Gleichberechtigung und Emanzipation von Frauen, als das Wahlrecht. Mit großem politischen Mut, den vor allem Frauen seit dem 19. Jahrhundert aufbrachten, wurde uns Frauen in Deutschland dieses Recht auf Teilnahme an Wahlen seit 1919 erkämpft. Dies war ein bemerkenswerter, wichtiger Schritt in dieser stark männlich dominierten Zeit. Es war ein erster Schritt zur Gleichberechtigung und Gleichstellung von Frauen und Männern mit gleichzeitig ersten Ausprägungen wirklicher Emanzipation auf unserem noch langen, teilweise sehr unterschiedlich begangenen Weg.

Bis 1989 waren 90 Prozent der Frauen in der ehemaligen DDR berufstätig. Ihr Alltag bewegte sich dabei zwischen Arbeit, Kinder, Haushalt, Weiterbildung und Ehrenamt. Die Familienpolitik war mit verlässlicher Kinderbetreuung, zusätzlichem bezahlten, arbeitsfreien Haushaltstag und Ähnlichem genau darauf ausgerichtet. Im Familiengesetz der DDR war zudem festgeschrieben, dass das Ehepaar ihre Verbindung so gestalten soll, „daß die Frau ihre berufliche und gesellschaftliche Tätigkeit mit der Mutterschaft vereinbaren kann“. Die Frauen der DDR haben die Wirtschaft gestützt, den Alltag organisiert, die Kinder betreut, für sich und die Familie gesorgt. Zumindest im privaten Bereich waren Frauen und Männer größtenteils gleichberechtigt.

Und doch wurden politische Entscheidungen fast ausschließlich von Männern getroffen. Wirkliche Gleichberechtigung war auch hier kaum zu finden.

Trotzdem war Gleichberechtigung kein größeres gesellschaftliches Thema. Denn die Frauen haben wie selbstverständlich, ebenso wie die Männer für sich und ihre Familien auch finanziell gesorgt, wurden gebraucht, waren erwerbstätig und unabhängig. Emanzipation wurde gelebt.

Frauen in der früheren BRD führten bis 1977 gem. Bürgerlichem Gesetzbuch „den Haushalt in eigener Verantwortung.“ Sie waren zudem  „berechtigt, erwerbstätig zu sein, soweit dies mit ihren Pflichten in Ehe und Familie vereinbar ist.“ Die Frauen der BRD brauchten bis dahin zu ihrer eigenen Erwerbstätigkeit das Einverständnis ihres Ehemannes. Gleichberechtigung gab es nicht, Gleichstellung war nicht möglich und Emanzipation wurde ein immer größeres Thema, weil noch kaum vorhanden.

Diese grundlegenden, divergierenden gesellschaftlichen Entwicklungen zeigen sich bis heute in ihren verschiedensten Ausprägungen, Handlungen und Herangehensweisen.

Gleichberechtigung und Emanzipation sind prägende Begriffe unserer Zeit, entstanden aus den verschiedentlichen Defiziten der Vergangenheit.

Gleichberechtigung und Emanzipation scheinen sich dabei heute jedoch in einer bestenfalls weiblichen, mindestens aber neutralisierenden Sprache zu manifestieren. Unsere gewachsene Sprache darf nicht mehr sein und erst recht nicht mehr wachsen.   

Wachsen jedoch bedeutet, sich zu entwickeln und zu entstehen. So, wie unsere Sprache sich entwickelt und den gesellschaftlichen Ausprägungen anpasst oder angepasst hat. Sprache ist das Dach unseres gesellschaftlichen Hauses und drückt viel mehr aus, als nur das gesprochene Wort. Kraftvoll und ungeduldig umgedeutet drücken wir unseren noch lange nicht vollzogenen gesellschaftlichen Wandel sprachlich jedoch nicht aus. Wir verbiegen unsere Sprache, zweckentfremden sie und bauen auf ein in Gleichstellungsfragen gerade erst gefestigtes gesellschaftliches Fundament direkt das Dach und verwechseln dies zuweilen mit Gleichberechtigung oder Emanzipation. Wirkliche Gleichberechtigung braucht jedoch das starke Fundament unserer Werte ebenso, wie starke gesellschaftliche Wände auch der Emanzipation, bevor das Dach der Sprache folgt und unser gesellschaftliches Haus wirklicher Gleichberichtigung komplettiert.

Heute sind wir zwar gesellschaftlich angesprochen und sensibilisiert, weil sich zum Beispiel unternehmerischer Erfolg nachweislich in diversen Teams besser einstellt, als in homogenen. Doch müssen wir Frauen noch die Waage finden, zwischen dem Muttersein, der Karrierefrau und der gesellschaftlichen Selbstverständlichkeit, dass beides geht. Gute Betreuungseinrichtungen geben insbesondere Frauen die Möglichkeit, ihren Berufswiedereinstieg flexibel zu planen, verpflichten sie jedoch nicht zur Karriere. Die „Rabenmutter“ von einst darf sich nun nicht in genau die andere, entgegengesetzte Richtung entwickeln. Emanzipation heißt eben auch, genau diese Entscheidung für alleiniges Muttersein – jetzt und/oder für immer - zu treffen.

 Vätermonate oder Elternzeiten, die zunehmend auch die Väter beanspruchen, bringen den notwendigen gesellschaftlichen Wandel in Gang. Equal Pay, Gleichstellungsforschung oder Gleichstellungsstrategien sind weitere wichtige und notwendige, oft jedoch nur theoretische Bausteine für die Wände unseres neuen gesellschaftlichen Hauses. Erinnern wir uns an die mutigen Frauen Anfang des letzten Jahrhunderts, die zum Teil mit ihrem Leben bezahlt, für Gleichberechtigung gekämpft haben. Seien auch wir mutiger, radikaler und fordernder. Und ignorieren die Kommentare manch männlicher Mitmenschen und Konkurrenten, die dies als „zu“ ehrgeizig, hart oder gar zickig kommentieren. Emanzipieren wir uns und setzen wir wichtige tatsächliche Bausteine in die Wände unseres gesellschaftlichen Hauses.  

Solange Bilder, wie das vom männerdominierten Businesslunch der diesjährigen Münchener Sicherheitskonferenz möglich sind und nahezu unkommentiert um die Welt gehen, sind wir nachweislich noch ganz am Anfang des Weges zu wirklicher Gleichberechtigung. Gerade einmal der Entwurf des Hauses unserer gleichberechtigten Gesellschaft steht. Setzen wir diesen Entwurf nun, basierend auf dem Fundament unserer demokratischen, freiheitlichen Werte, um. Werden wir laut und werden wir aktiv. Emanzipation braucht Mut. Von beiden Seiten. Seien wir Frauen also mutig, unseren Platz am Tisch einzufordern.

Ziehen wir uns nicht auf die Sprache als vermeintlich einzig demokratische Option zurück, sondern nutzen wir stark, selbstbewusst und emanzipiert unsere Demokratie, längst überfällige gesellschaftliche Änderungen im inneren Kern zu erreichen. 

Finden wir zusätzlich die Waage zwischen weiblicher Emanzipation und männlicher Benachteiligung, sind wir einen großen Schritt weiter gekommen hin zu gesellschaftlicher Gleichberechtigung.

Unsere Sprache folgt dann auf dem Fuße. Von ganz allein, anerkannt und akzeptiert.

Wenn wir Frauen selbstbewusst, feministisch und wirklich emanzipiert sind, darf der Rasierer dann auch Rasierer bleiben, der Rock ruhig lang getragen, der Kaffee gerne auch mal gekocht und die Tür seinem Mitmenschen aufgehalten werden.