Katja Adler

Interview mit dem Usinger Anzeiger: "Nicht von Angst leiten lassen"

 

Hochtaunuskreis. Katja Adler sitzt seit der vergangenen Bundestagswahl für den Wahlkreis 176 - Hochtaunus im deutschen Parlament. Die 47-jährige FDP-Abgeordnete aus Oberursel ist Teil der regierenden Ampelkoalition - und hatte sich, wie ihre Kolleginnen und Kollegen, nach dem Abflauen der Coronavirus-Pandemie sicher einiges vorgekommen. Doch dann kam der Krieg in der Ukraine - und mit ihm Politik im Krisenzustand. Im Interview spricht die zweifache Mutter darüber, wie es sich anfühlt, in Kriegszeiten Entscheidungen treffen zu müssen, welche Rolle Angst dabei spielt, und wie sie sich im politischen Berlin eingelebt hat.

Frau Adler, wie fühlen Sie sich, wenn Sie als Bundestagsabgeordnete plötzlich über Themen rund um einen Krieg in Europa befinden müssen?

Auch wenn es komisch klingt: Ich bin dankbar für die Chance, in der aktuellen Situation etwas tun zu können. Ich habe viele Menschen erlebt, die sich vor dem Hintergrund des Krieges - gerade am Anfang - hilflos gefühlt haben. Das hatte ich nicht, weil ich aktiv sein konnte, auch wenn die einzelnen Entscheidungen natürlich sehr schwer sind.

Als Abgeordnete mit einem Schwerpunkt auf Europa- und Familienpolitik sind Ihre Themen aber von außen betrachtet stark in den Hintergrund getreten. Wie gehen Sie damit um?

Ich bin zur Wahl angetreten, weil ich weiß, dass ich etwas ändern will und auch Dinge voranbringen kann. Vor allem vor dem Hintergrund der Corona-Krise ist mir persönlich die Ausgestaltung des Freiheitsbegriffes wichtig. Natürlich wurde der Krieg mit dem Angriff in den Vordergrund gespült - und das auch zu Recht. Ich habe ehrlicherweise nicht damit gerechnet, dass ein Krieg in Europa überhaupt noch einmal ausbrechen könnte. Vor allem vor dem Hintergrund, dass sich Deutschland gemeinsam mit seinen Partnern jahrzehntelang für den Frieden eingesetzt hat. Vielleicht habe ich mich wie viele andere zu sicher gefühlt. In jedem Fall musste ich kurz innehalten, weil mich die Nachrichten geschockt habenen. Aber wir haben noch viele weitere Themen auf der Agenda, die wir nicht vernachlässigen dürfen.

Nichtsdestotrotz hatten Sie sich persönlich aber auch die Ampelkoalition allgemein sicher ganz andere Dinge auf die Fahnen geschrieben

Natürlich sind meine eigenen Themen in den Hintergrund geraten, aber deshalb fühle ich mich nicht zurückgesetzt, sondern mir war mit dem ersten Tag des Krieges klar, dass wir uns nun mit ganz neuen Fragen für unsere Gesellschaft auseinandersetzen müssen. Wenn ich mir aber die vergangenen Wochen anschaue, in denen es auch um die dringend benötigte BAföG-Reform, die Abschaffung des Paragrafen 219a zum Selbstbestimmungsrecht der Frauen oder die vereinfachte Genehmigung von Flüssiggasterminals geht, die zwar direkt vom Krieg beeinflusst werden, dann weiß ich, dass wir noch viel vor uns haben und man sich immer wieder positionieren muss.

Dennoch binden die Kriegsfolgen ja auch enorme finanzielle Ressourcen, die an anderer Stelle fehlen könnten - oder die die von der FDP präferierte »schwarze Null« ins Wanken bringen.

Hier greift aktuell ein Stück weit reiner Pragmatismus. Wir können alleine schon aus humanitären Gründen unsere Augen vor dem Krieg mitten in Europa nicht verschließen und müssen unsere Bundeswehr stärken. Darauf haben wir reagiert. Deshalb werfen wir aber nicht alles über den Haufen. Die Schuldenbremse ist daher nur aufgeschoben und nicht aufgehoben. Sie wird eingesetzt, sobald die politische Lage es wieder zulässt.

Schauen Sie als Mutter zweier Kinder vielleicht noch einmal anders auf die Situation als andere Abgeordnete?

Ich kann nicht sagen, wie ich auf die Dinge schauen würde, wenn ich keine Kinder hätte - ich habe sie ja. Ich will Politik für die Generation meiner Kinder und Kindeskinder machen. Und auch vor dem Hintergrund der Gefahr einer erhöhten Bedrohung blicke ich auf meine Kinder und ihre Generation - davor will ich sie schützen. Unsere Gesellschaft ist stetig im Wandel, die Gesellschaft meiner Kinder wird anders sein als meine heute. Ich möchte dafür Dinge verändern oder nachjustieren - und ich möchte meinen Kindern eine Welt hinterlassen, in der sie friedlich leben, sich verwirklichen und eine eigene Familie gründen können.

Inwiefern spielt Angst eine Rolle bei den Entscheidungen zum Ukraine-Krieg?

Es gab Momente, vor allem bei Ausbruch des Krieges, da hatte auch ich Gefühle, die Angst nahekamen. Aber darin besteht eben die Aufgabe als Politikerin, sich nicht von dieser Angst leiten zu lassen, sondern kühlen Kopf zu bewahren. Man muss sich die Gefahr vor Augen halten, aber gleichzeitig rational bleiben - auch wenn der Gegenüber, in diesem Fall Putin, vielleicht selbst nicht rational handelt. Politik muss in diesen Fällen abwägen und tun, was getan werden muss. So habe ich auch meine Entscheidung getroffen, für die Lieferung schwerer Waffen zu stimmen - aus einer rationalen Erwägung: Menschen, die angegriffen werden, müssen sich verteidigen können, wenn klar ist, dass man am Verhandlungstisch aktuell nicht weiterkommt.

In der Diskussion kam schnell die Frage auf, ob Deutschland durch die Unterstützung der Ukraine selbst zur Kriegspartei wird. Wie sehen Sie das?

Deutschland ist keine aktive Kriegspartei. Wir unterstützen im Bündnis mit der EU und der NATO die Ukraine, aber es gibt kein aktives Eingreifen an Ort und Stelle. Im Unterschied zu wirtschaftlichen Sanktionen oder der Lieferung von Waffen sitzen unsere Soldaten eben nicht im Panzer und schießen.

Glauben Sie, dass das noch passieren könnte?

Nein, das kann ich mir nicht vorstellen.

Schauen wir auf Sie: Sie sind seit mehr als einem halben Jahr Bundestagsabgeordnete. Wie haben Sie sich im politischen Berlin eingelebt?

Das Leben in Berlin hat eine ganz andere Schrittzahl und -frequenz im Vergleich zu meinem früheren Alltag, wo ich mit einem normalen Job mein Geld verdient und ehrenamtlich Politik gemacht habe. Ich empfinde es als ein Privileg, hauptberuflich Politik machen zu können, auch wenn die Sitzungswochen mit Terminen und Gesprächen eng getaktet sind. Mein Arbeitstag beginnt in der Regel um 7.30 Uhr und endet gegen 22 Uhr, manchmal sogar erst nach Mitternacht. Aber darauf habe ich mich eingestellt, nachdem die ersten Wochen wegen der Koalitionsverhandlungen und viel Organisatorischem noch vergleichsweise ruhig waren. Inzwischen sind sich die Wochen aber auch ähnlich, sodass ich durch die Abläufe eine gewisse Sicherheit habe und mehr Zeit und Kapazität im Kopf bleibt, mal nach rechts oder links zu schauen, zusätzliche Gespräche zu führen und Netzwerke zu knüpfen.

Weil wir das Thema vorhin hatten: Wie gehen Ihre Kinder damit um?

Meine Tochter ist bereits volljährig, aber auch sie ist im vergangenen Jahr noch einmal unendlich viel selbstständiger geworden - einerseits notgedrungen, andererseits macht es mich aber auch als Mutter sehr stolz. Sie kennt meinen Terminkalender und wir planen gemeinsame Aktivitäten nun etwas mehr im Voraus, denn ich trage mir schon auch private Blöcke ein - und das ist auch unabdingbar. Ich glaube, wir haben inzwischen einen guten Rhythmus gefunden. Abgesehen davon finden meine Kinder toll, was ich mache. Ich hatte sie am 27. Februar zur Sondersitzung nach dem russischen Angriff auf die Ukraine mitgenommen, sie saßen auf der Besuchertribüne und obwohl ich anfangs dachte, gerade für meinen 14-jährigen Sohn wäre eine vierstündige Sitzung zu lange, war er geflasht und hat im Anschluss viele Fragen gestellt. Es ist also auch für Sie etwas Besonderes.

Das bedeutet, Sie gehen in Ihrer neuen Rolle als Bundestagsabgeordnete auf?

Ja, sehr. Es war für mich der richtige Schritt, kandidiert zu haben. Ich gehe darin voll auf, mein Hobby zum Beruf gemacht zu haben - mit Leidenschaft, für Gerechtigkeit, für Freiheit und für Frieden. Denn ohne engagierte Politikerinnen und Politiker würde eine demokratische Gesellschaft nicht funktionieren. Ich habe daher bisher keine Minute in meinem Amt bereut.